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Offener Brief: Die heimische Textil- und Bekleidungsindustrie – Retter und Notleidender in der Krise

20. April 2020

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,

die mittelständisch strukturierte Textil- und Bekleidungsindustrie im Freistaat Sachsen ist mit 12.000 Beschäftigten und einem Anteil von mehr als 3 % des BIP eine wichtige Branche und in Zeiten der Corona-Pandemie in vielen Bereichen ein unverzichtbarer Partner und Dienstleister bei der Bewältigung der anstehenden Aufgaben. Textile Produkte finden in allen Bereichen Anwendung, von klassischer Bekleidung bis zu hochwertigen medizinischen Membranen und textilen Schutzausrüstungen.

Wegen der Corona-Krise befinden sich viele Betriebe unserer Branche in akuter Existenznot. Viele Standardprodukte werden gegenwärtig nicht nachgefragt bzw. bleiben Folgeaufträge aus. Die Nutzung der Kapazitäten zur Produktion textiler Schutzausrüstungen hilft, den aktuellen Mangel an solchen Produkten zu beseitigen. Zugleich versuchen die Unternehmen damit, Auftragsausfälle zu kompensieren und ihren Fortbestand zu sichern. Im Folgenden unterbreiten wir Ihnen Vorschläge, wie der Freistaat Sachsen unserer Branche wirksam helfen und bleibende Schäden verhindern kann:

Änderung der öffentlichen Auftragsvergabe bei systemrelevanten Produkten

Insbesondere das öffentliche Vergabewesen hat in den vergangenen Jahren dazu beigetragen, dass regionale Anbieter mit Produktionsstandorten in Deutschland keine Aufträge mehr erhalten haben. Die Unternehmen waren deshalb gezwungen, die Produktion in das osteuropäische Ausland oder gar nach Asien auszulagern oder sich von bestimmten Produkten ganz zu trennen.

Im derzeitigen Krisenfall ist nun die Versorgung mit systemrelevanten Produkten massiv gestört bzw. nicht mehr gegeben. Eine kurzfristige Umstellung der vorhandenen textilen Produktion auf zertifizierte Schutzausrüstungen ist aufgrund fehlender Lieferketten und strenger Prüf- und Zulassungsanforderungen auch bei massiven Anstrengungen im erforderlichen Umfang und in einer solch kurzen Zeit nicht möglich.

Werden systemrelevante textile Schutzausrüstungen weiterhin in bisher üblichen Verfahren ausgeschrieben und vergeben, wird die regionale Textil- und Bekleidungsindustrie dabei auch zukünftig keinen Erfolg haben. Damit wird die Chance vergeben, durch Förderung der industriellen Produktion in Deutschland aktive Wirtschaftsförderung zu betreiben und gerade in Krisensituationen Versorgungssicherheit bei diesen Produkten zu gewährleisten. Ziel sollte es deshalb sein, die gängige Vergabepraxis anzupassen bzw. die derzeitigen Regularien auszusetzen.

Hierzu ist die regionale Textil- und Bekleidungsindustrie zu erhalten und zu stärken. Um das zu erreichen, sind kurzfristige sowie mittel- und langfristige Aufgaben zu lösen.

Erweiterung der sächsischen Soforthilfe für Betriebe bis 250 MA

Ca. 20 % der sächsischen Unternehmen unserer Branche haben zwischen 100 und 250 MA und benötigen ebenfalls dringend Unterstützung. Die Beschränkung auf max. 100 MA ist umgehend aufzuheben.

Soforthilfe auch größerer mittelständischer Unternehmen >250 MA (Einzelfälle)

Insbesondere Zulieferunternehmen für die Großindustrie (Automobilbau) sind vorbelastet und ohne Reaktionszeit in die Krise hineingekommen. Mittelständische Strukturen werden durch laufende Unterstützungsprogramme nicht erfasst oder die zur Verfügung stehenden Mittel reichen nicht aus. Es fehlen schnelle Liquiditätshilfen ohne Folgebelastungen. Dringende Einzelfälle sind kurzfristig zu bearbeiten.

Verlängerung der Kurzarbeiterregelung

Das Kurzarbeitergeld ist ein hervorragendes Instrument für den nachhaltigen Erhalt der Mitarbeiterstrukturen. Die Dauer dieser Unterstützungsleistung muss an den Verlauf der Krise ständig angepasst werden. Aufgrund geringer Margen und damit fehlender Rücklagen ist eine Aufstockung durch die Unternehmen nicht zu leisten. Eine allgemeine Erhöhung der Erstattungsleistungen wird begrüßt.

Einordnung der Textil- und Bekleidungsindustrie als systemrelevante Industrie

In der Branche sind viele Frauen beschäftigt. Die Sicherung der Kinderbetreuung steigert die Produktivität der Unternehmen. Auch Berufspendler sind insbesondere in grenznahen Regionen für die Produktion unverzichtbar.

Öffnung der Grenzen nach Tschechien und Polen für Berufspendler

Mehrere Unternehmen haben einen signifikanten Anteil an Berufspendlern in der Mitarbeiterschaft und benötigen kurzfristig Sicherheit für ihre Produktion.  

Mund-Nasen-Masken

Der BMAS-Arbeitsschutzstandard-Covid-19 formuliert konkrete Anforderungen an den Arbeitsschutz in Zeiten von Corona und wird von der Bundesregierung zur Anwendung „empfohlen“. Der Freistaat Sachsen führt eine Maskenpflicht in bestimmten Bereichen des öffentlichen Lebens ein.

Eine Vielzahl regionaler Unternehmen hat die Produktion von Mund-Nasen-Masken und anderen textilen Produkten mit Schutzeigenschaften im Ersatz oder in Ergänzung der laufenden Produktion realisiert. Dabei sind außerordentliche Herausforderungen bei der Absicherung der Lieferketten zu stemmen.

Viele Grundmaterialien stehen auf dem deutschen Markt nur sehr begrenzt oder gar nicht zur Verfügung. Ersatz muss geschaffen/entwickelt werden. Insbesondere in der aktuellen prekären Situation der Unternehmen kann durch solche Produktionen das Überleben von Firmen gesichert werden.

Ein nennenswerter Bezug solcher Produkte (auch ohne Zertifikat) muss durch die öffentliche Hand erfolgen. In vielen Bereichen (auch in Klinik und Pflege) ist der Einsatz nicht-medizinischer Masken unter bestimmten Bedingungen hinreichend. Hierzu müssen Entscheidungen getroffen werden, in welchen Bereichen solche Produkte rechtssicher verwendet werden können. Dafür muss sofort eine koordinierte Beschaffung organisiert werden.

Nachhaltige Versorgung mit medizinischen Schutztextilien

Die Forderung einer nachhaltigen Produktion von medizinischen Schutztextilien in Deutschland erfordert einen regelmäßigen Bezug dieser Produkte in bedarfsgerechtem Umfang auch durch die öffentliche Hand (Absatzgarantie), und das zu deutschen Konditionen/Preisen (EEG-Umlage, Netzentgelt, REACh, Chemikalienverordnung, Tarifforderungen, Mindestlohn, CO2-Besteuerung u. a.). Regionale Lieferketten sind zu bevorzugen.

Die heimische Textil- und Bekleidungsindustrie steht für die Bewältigung der außerordentlichen Aufgaben sowohl kurz- als auch längerfristig zur Verfügung. Das technologische Know-how, das unternehmerische Potenzial und die Produktionskapazitäten sind vorhanden oder können weiter entwickelt werden. Der Verband der Nord-Ostdeutschen Textil- und Bekleidungsindustrie setzt mit seinen Mitgliedsunternehmen all seine Möglichkeiten ein und steht für weitere Gespräche zur Verfügung.

 

Mit freundlichen Grüßen

 

Thomas Lindner, Vorsitzender des Vorstandes

Dr.-Ing. Jenz Otto, Hauptgeschäftsführer

 

 

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